Süddeutsche Zeitung: Doppelter Tabubruch

Israelisches Orchester will Wagner spielen – und das in Bayreuth

Wagner in Bayreuth spielen zu wollen, das klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Schließlich haben seit 1876, dem Beginn der Festspiele, viele der großen Dirigenten auf dem Grünen Hügel den Ring, Tristan oder den Lohengrin gegeben. Doch wenn Roberto Paternostro das „Siegfried-Idyll“ in Bayreuth aufführen will, dann wird Wagner zum Wagnis – und allein die Ankündigung des Konzerts im nächsten Sommer hat nun einen Sturm ausgelöst. Denn Paternostro ist Leiter des Israelischen Kammerorchesters – und in Israel gehört der Wagner-Boykott gewissermaßen zur Staatsräson. Nicht die künstlerische Leistung des 1883 gestorbenen Komponisten wird gesehen, sondern sein Antisemitismus sowie die Verehrung und Vereinnahmung durch die Nazis. Wagner, das ist bis heute für viele in Israel die Musik zum Holocaust. „Das Konzert ist sicher etwas Besonderes, weil wir gleich zwei Tabus brechen“, sagt Paternostro. „Zum ersten Mal spielt ein israelisches Orchester in Bayreuth, und wir spielen Wagner.“ Zusätzliche Brisanz gewinnt es noch dadurch, dass Katharina Wagner, die Urenkelin und heutige Festspielleiterin, die Schirmherrschaft übernommen hat für den Auftritt. Eine Pressekonferenz, in der sie dies nächste Woche in Tel Aviv verkünden wollte, wurde in den Medien flugs als „Versöhnungsakt“ zwischen der Familie und Israel angekündigt. Doch der israelische Journalist und Holocaust-Überlebende Noah Klieger verurteilte dieses Konzert in Bayreuth, wo die Wagners die Nazi-Größen aufs freudigste zum kulturellen Weihefest empfangen hatten, schlicht als „Kapitulation“.

Angeheizt wird die Debatte durch Falschmeldungen – zum Beispiel, dass das israelische Orchester im nächsten Juli offiziell die Festspiele eröffnen wird, obwohl es in Wahrheit nur parallel in der Bayreuther Stadthalle auftreten soll. Am Mittwoch schließlich meldete die Tageszeitung Haaretz in ihrer englischsprachigen Ausgabe schon die Absage des Konzerts nach einer Welle von Protesten. Doch Paternostro bekräftigt: „Wir planen nach wie vor dieses Zeichen des Brückenschlagens und der Toleranz.“

Der Dirigent, der als österreichischer Jude nach vielen Jahren in Deutschland 2009 zum Kammerorchester nach Tel Aviv kam, hat gewusst, auf was er sich einlässt. Schließlich kennt er die Geschichte von Zubin Mehta, der 1981 als Erster in Israel Wagner spielte – begleitet von lautstarken Protesten und der Aufforderung eines Likud-Politikers, doch nach Indien zurückzukehren. Nicht anders erging es 20 Jahre später Daniel Barenboim, der mit einer einzigen Wagner-Zugabe einen Eklat auslöste. Bis heute kann man in Israel Wagner zwar im Radio hören, in Konzerten jedoch so gut wie nicht. Paternostro aber glaubt, es sei nun an der Zeit, dies zu ändern. Die Musiker seines Orchesters seien „hellauf begeistert“ von den Bayreuth-Plänen.

Katharina Wagner verfolgt die Aufregung von Bayreuth aus und legt größten Wert darauf zu betonen, dass „die Initiative nicht von mir ausgegangen ist“. Sie weiß, dass sie vorsichtig sein muss, und ihre geplante Reise nach Israel hat sie kurzfristig abgesagt. Die Pressekonferenz in Tel Aviv wird es nicht geben – mit der offiziellen Begründung, dass die Neuigkeit vom Konzert nun schon in die Öffentlich-keit gelangt sei. Der Auftritt der Israelis in Bayreuth aber soll auf jeden Fall stattfinden. Dies sei doch ein „wunderbares Zeichen“, sagt Katharina Wagner, „gerade weil die Familie und die Stadt so belastet sind.“
7. Oktober 2010
  • Süddeutsche Zeitung