Stuttgarter Zeitung: Brückenschlag oder Kapitulation?

Klassikstreit. Das Israelische Kammerorchester will zur Festspielzeit mit Wagner in Bayreuth auftreten.

In einer kleinen Meldung dieser Tage hieß es: ,,Israelisches Kammerorchester spielt im Sommer Wagner in Bayreuth". Punkt. Und in einer anderen kleinen Meldung, nicht weit weg von der ersten,
stand: ,,Tote Hosen begeistert in Tel Aviv gefeiert". Ebenfalls Punkt. Beide Nachrichten bargen etwas Normales, aber auch etwas Wunderliches. Die Toten Hosen um ihren Sänger Campino, der deutsche Post-Punk-Export aus Düsseldorf, haben schon fast die ganze Welt für sich eingenommen und in vielen Gegenden Triumphe gefeiert, wo sie fast kein Mensch versteht. Warum sollten sie nicht auch in Israel ankommen? Irgendwie schön klingt das jedenfalls. Und Richard Wagner, wird der nicht noch häufiger auf dem Erdball gespielt? Warum dann nicht von einem israelischen Orchester? Und warum nicht in Bayreuth, wo schließlich, jedenfalls im Sommer, sowieso fast nichts anderes gespielt wird als Wagner? Aber Wagner und Israel? Wie deutlich schwieriger die Dinge im Falle des Wagner-Gastspiels jetzt schon liegen, verdeutlicht ein Artikel des israelischen Journalisten und Holocaust-Überlebenden Noach Klieger. Kaum war bekannt geworden, dass die Festspielleiterin und Urenkelin Wagners, Katharina Wagner, das Israelische Kammerorchester unter seinem österreichischen und jüdischstämmigen Dirigenten Roberto Paternostro für den 26. Juli zu einem Konzert in der Bayreuther Stadthalle (nicht am Grünen Hügel) eingeladen hat, das von den Israelis freudig bestätigt worden ist, sprach Klieger von einer ,,Kapitulation". Fände der Auftritt statt, sei der Boykott Wagners in Israel, der seit Gründung des Staates in der Öffentlichkeit gilt, fürderhin ,,wertlos". Katharina Wagner hingegen, die mit dem Dirigenten Paternostro seit dessen Zeit als Generalmusikdirektor in Kassel bekannt und befreundet ist, sieht die Einladung als ,,Brückenschlag" an. Geprobt würde eh in Deutschland, und Paternostro plant ein Programm, bei dem außer Wagner der von diesem als Künstler stets herabgewürdigte Mendelssohn im Mittelpunkt stehen würde, außerdem ein israelischer Gegenwartskomponist. Die einen wollen voran, die anderen denken zurück. Noach Klieger knüpft in seiner Argumentation an Erklärungsmuster an, die schon einmal vor jetzt auch schon wieder zehn Jahren verwendet worden sind: Damals wurde der - gesetzlich nirgendwo verankerte - Boykott über Richard Wagners Musik ansatzweise aufgekündigt. Bis dahin war in Israel stillschweigend akzeptiert, dass man jene Musik öffentlich nicht spiele, die Adolf Hitler so geliebt hatte und, krass formuliert, gewissermaßen als Soundtrack für Deutschlands ,,Götterdämmerung" und die angestrebte Ausrottung der Juden nutzte.
Im Oktober 2000 kündigte der Dirigent Meni Rodan diese Übereinkunft überfallartig, als er sein Orchester Rischon Lezion das ,,Siegfried-Idyll" spielen ließ. Es kam zu erregten Szenen im Auditorium, die sich im Jahr darauf wiederholten, als Daniel Barenboim bei einem Gastspiel mit der Berliner Staatskapelle erst in Diskussionen eintrat und dann, als nur wenige Menschen dagegen votiert hatten und die Halle verließen, das ,,Tristan"-Vorspiel dirigierte.
Barenboim, bis heute rastlos als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern tätig, beharrte darauf, dass Wagner zwar judenfeindlich eingestellt war, andererseits seine Musik ,,unideologisch" sei. Wer an Passagen der ,,Meistersinger" und des ,,Parsifal" denkt, in denen zumindest der Gedanke der Rassenregeneration ernsthaft zur Debatte steht, wird sich diesem Diktum nicht ganz anschließen können, nicht zu reden von Wagners einschlägigen Ausfällen in seinem Aufsatz ,,Das Judenthum in der Musik". Es ist etwas dran an Hans von Bülows Bemerkung, Wagner habe ,,das Feuer geschürt, aber andere sich die Finger verbrennen lassen". Sein eigener Sohn Siegfried hatte dafür ein Gespür,
als er, obwohl mindestens national eingestellt, schon 1924 über dem Eingang des Festspielhauses: ,,Hier gilt"s der Kunst!" plakatierte, nachdem Nazis im Publikum im Anschluss an die ,,Meistersinger" das Deutschlandlied gesungen hatten. 1951 sollten seine Söhne Wieland und Wolfgang diesen, sagen wir, Trick wieder aufnehmen - und sich damit von der v o r h e r i g e n V e r e i n n a h m u n g Wagner’scher Musik bei der Wiedereröffnung am Grünen Hügel distanzieren. Dies alles, muss man bedenken, meint Klienger mit, wenn er von ,,Kapitulation" spricht, selbst wenn diese zunächst nur in Deutschland stattfände.
Der Dirigent Roberto Paternostro, selbst Nachfahre von Nazi-Opfern, sagt, es gebe an einem ,,Teil der Weltanschauung Richard Wagners nichts zu rechtfertigen und zu beschönigen". Er glaubt aber auch, dass man die Bedeutung Richard Wagners einer neuen Generation vermitteln könne (und müsse), ohne die ,,historische Verantwortung auszuklammern". Ein Zeichen also, für die einen. Für die anderen immer noch: ein Menetekel.

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