30.08.2011

Neue Rezensionen zum Bayreuth-Konzert

Versöhntes und Unversöhntes


Sindelfinger Zeitung, Susanne Benda, 11.8. 2011.

Opernheld Tannhäuser stirbt als Zerrissener - zwischen zwei Frauen, zwischen Kunst und Welt. Sebastian Baumgartens Inszenierung setzte bei den Bayreuther Wagner-Festspielen eine Reihe der enttäuschenden Regiearbeiten der vergangenen Jahre fort. Dafür beglückte das erste Gastspiel eines israelischen Orchesters.
[...] Wunsch und Wirklichkeit kommen offenbar auch in der neuen Wagner-Ära in Bayreuth nicht recht zusammen - im Gegensatz zum Konzert, das auf Einladung der Stadt in der Bayreuther Stadthalle veranstaltet wurde. [...] Wie viele Gefühle und Gedanken bei dieser Annäherung auch eine Rolle spielen, bewies der Auftritt des Orchesters in Bayreuth: Lange dauerte der Beifall des Publikums, zu Beginn spielten die Musiker die israelische Nationalhaymne, anschließend hörte man mit Mahler und Mendelssohn zwei jüdischstämmige Komponisten, und bevor am Ende Wagners "Siegfried-Idyll" erklang, konnte man die Spannung im Saal körperlich spüren.
Die Störungen des Konzertes, die Überlebende des Holocaust angekündigt hatten, blieben aus, und am Ende gab der Chefdirigent des Orchesters, Roberto Paternostro, seine Blumen an die Schirmherrin des Konzertes weiter. Sie heißt Katharina Wagner, letitet die Wagner-Festspiele und hat schon bei ihrem Amtsantritt 2008 versprochen, die Nazi-Vergangenheit der Wagners aufarbeiten zu helfen. Versöhnung mit der und über die Kunst scheint möglich zu werden. Dies zu spüren ist ein beglückendes Erlebnis.


Der Neue Merker


Dr. Klaus Billand

[...] Die folgenden Sinfonie Nr. 4 A-Dur („Italienische“) von F. Mendelssohn-Bartholdy ging Paternostro im Allegro vivace überschwänglich mit viel italienischem Kolorit an. Im folgenden Andante con moto beeindruckte er mit getragener Rhythmik und fein musizierten thematischen Linien. Der 3. Satz Con moto moderato zeigte die hohe Qualität der Bläser des ICO, die hier harmonische Passagen mit romantischer Lyrik und farbenreichen Facetten erklingen ließen. Sie wurden endrucksvoll von einem satten Streicherklang unterlegt. Den 4. Satz Saltarello. Presto ging Paternostro standesgemäß dynamisch und impulsiv an, wobei die Hörner starke Akzente setzten und auch das Schlagwerk große Momente rhythmischer Akzentuierung hatte. Ein emotionaler Schlusspunkt vor der Pause, der mit großem Applaus bedacht wurde.
Der „Angelus! - Gebet an die Schutzengel“ (aus „Années de Pèlerinage“ für Klavier solo, Band III, Streicherfassung von Franz Liszt) bildete den Auftakt zum 2. Teil des Programms. Das kurze Stück besticht durch eine schöne ausladende Melodik. Die feinen Streicherlinien klingen fast entrückt, und so endet der „Angelus“ auch, in der Unendlichkeit verschwindend wie Wagners Vorspiel zum „Lohengrin“. Wie schon im „Prayer“ ließen hier die Streicher des ICO ihr exzellentes Niveau vernehmen.

Alle waren sich darauf der Bedeutung des Augenblicks bewusst, als Roberto Paternostro den Taktstock hob und ihn lange hielt, bevor die ersten Takte eines mit romantisch verklärten zauberhaften Tonfarben musizierten „Siegfried-Idylls“ erklangen. Mit bedächtigen Tempi schien er das Stück fast zu zelebrieren. Sorgsame Akzentuierung und bedachte Zurücknahme ins piano kennzeichneten Paternostros gefühlvolle Interpretation. Wunderbar gegen Ende die ruhige Linie der Hörner und die darüber spielenden Flöten über einem sanften Streicherteppich… Auch am Schluss wieder ein langes Innehalten, bevor sich die Begeisterung über diese große Premiere in einem Gefühlsausbruch des Publikums mit standing ovations entlud. Das war in der Tat ein denkwürdiger Moment, der viele weit mehr beeindruckte als die problematische „Tannhäuser“-Premiere am Abend zuvor auf dem grünen Hügel…      
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  • Roberto Paternostro