Wagner in Israel: Barenboim plädiert gegen Boykott

Der Schöpfer des „Lohengrin“ war engagierter Antisemit, wütete gegen Mendelssohn und Meyerbeer. In Israel ist seine Musik „verboten“.

Wagner sei für Adolf Hitler ein ideologisches Vorbild gewesen. „Ich kann aber nicht akzeptieren, dass er deswegen Hitlers Prophet war.“ Also sprach Dirigent Daniel Barenboim im Rahmen eines Symposions, zu dem er aus Anlass der „Rheingold“-Premiere in der Berliner Linden-Oper geladen hatte.

Es war nicht sein erster Beitrag zum Thema „Richard Wagner und das Judentum“. Barenboim hat sich in Israel wiederholt für Aufführungen der dort verpönten Musik Wagners eingesetzt. Er ist der Meinung, dass Ideologie und Musik getrennt werden sollen: „So abscheulich Wagners Antisemitismus war“, sagte er, „man kann ihn nicht für Hitler zur Verantwortung ziehen“. Der Umgang seiner Wahlheimat Israel mit dem Werk Wagners sei problematisch. Die Tabuisierung nach 1945 sei zwar rechtens gewesen, weil die Nationalsozialisten Wagners Musik propagandistisch missbraucht hätten, doch sei die Weiterführung des Boykotts nicht mehr gerechtfertigt.

In Berlin räumte Barenboim auch mit einer, wie er es nennt, „Legende“ auf. Das als Zugabe musizierte Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ bei einem von ihm dirigierten Konzert im Jahre 2001 in Israel habe keineswegs, wie die Fama will, einen Eklat verursacht. Es habe vielmehr vor der Aufführung eine Diskussion gegeben, nach der etwa 30 Zuhörer den Saal verließen, weil sie die Wagner-Musik nicht hören wollten. Das Konzert sei dann aber friedlich verlaufen. Erst am Tag danach habe es heftige Reaktionen von Politikern gegeben, „die natürlich nicht im Konzert waren“.

Beim Symposion kam Wagners auch schriftlich dokumentierter Antisemitismus zur Sprache. Barenboim erläuterte die heftigen Angriffe des Komponisten auf das Judentum aus der Zeit heraus und verwies darauf, dass es Juden in Berlin bis 1869 nicht gestattet gewesen war, sich frei in der Stadt und ihrer Umgebung zu bewegen.

Weit von sich wies der erfahrene Wagner-Interpret die Darstellung mancher Kulturphilosophen und Theaterwissenschaftler, die Außenseiterfiguren in Wagners Opern, etwa die Kundry („Parsifal“), Alberich („Ring des Nibelungen“) oder Beckmesser („Meistersinger“), seien „antisemitische Karikaturen“. Wagner, so Barenboim, „macht sich über diese Figuren lustig, aber das ist kein Antisemitismus. Wäre das der Fall, könnte ich solche Stücke nicht dirigieren“.

Zum Thema passt eine heftige Auseinandersetzung, die zuletzt in Israel um ein mögliches Gastspiel des Israel Chamber Orchestra in Bayreuth entbrannte. Bayreuths Festspielchefin Katharina Wagner wollte jüngst nach Tel Aviv reisen, um eine offizielle Einladung zu überbringen. Die Reise wurde aber abgesagt. Das Ensemble möchte unter der Leitung seines neuen Chefdirigenten, des Wieners Roberto Paternostro, im kommenden Sommer im Umfeld der Festspiele in Bayreuth gastieren, um unter anderem auch Wagners „Siegfried-Idyll“ zu musizieren. Das hatte in Israel für Missstimmung gesorgt. Ob das Gastspiel zustande kommt, ist noch unklar.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2010)

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